Wie erreichen wir unversorgte Jugendliche ohne berufliche Perspektiven?

Die pandemiebedingten Einschränkungen bleiben nicht folgenlos: Schätzungen zufolge behindern die negativen Auswirkungen bei jedem vierten jungen Menschen die berufliche Integration.

Corona bedingt gab es eine Vielzahl von Einschränkungen, die sich auf die Entwicklung beruflicher Perspektiven bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgewirkt haben.

So fehlte:

  • Eine flächendeckende systematische Berufsorientierung in den Schulen (durch Schulschließungen, Wegfall des BOP- Programms aufgrund fehlender Planbarkeit etc).
  • Die Präsenz der Berufsberatung in den Schulen
  • Ein offener Zugang zu Berufsberatung und Jobcentern zur persönlichen Beratung
  • Die Möglichkeit zur Absolvierung von Praktika

 

Junge Menschen verloren berufliche Perspektiven und haben sich aus den Unterstützungs- und Beratungssystemen zurückgezogen, bewährte Zugangswege blieben verschlossen. Viele Betroffene sind schlicht „untergetaucht“.

Wie also sieht Jugendsozialarbeit aus nach mehr als zwei Jahren Pandemie? Was muss sie leisten? Welche Methoden sind gefragt, um Betroffene neu zu erreichen und Wege in Ausbildung und Beruf zu ebnen? In einem Fachgespräch geht die Diakoniestiftung dieser Fragestellungen auf den Grund und will mit Fachkräften aus der Jugendsozialarbeit ins Gespräch kommen, Good Practice-Beispiele austauschen und kreative Methoden vorstellen.

Entkoppelt und schwer erreichbar?! – Neue Handlungsansätze in der JugendsozialarbeitFachgespräch (September 2022)

„Bei der beruflichen Integration von Jugendlichen ist ein sensibler Punkt der Übergang von der Schule in Ausbildung. In den letzten Jahren der Pandemie sind an diesem Punkt viele junge Menschen verloren gegangen, schwer erreichbar geworden“, erklärte Jutta Kraß, stellv. Abteilungsleiterin bei der Diakonie Saar. Über diese Thematik und wie Jugendsozialarbeit darauf reagieren muss, diskutierten Fachkräfte aus dem Arbeitsfeld Übergang Schule – Beruf bei einem Fachgespräch im Rahmen der Kampagne #arbeitsinnstiftend – für mehr Teilhabe am Arbeitsleben der Diakoniestiftung an der Saar. 

In der Saarlouiser Einrichtung „Startbahn 25“ tauschten sich sozialpädagogische Fachkräfte aus den verschiedensten Bereichen sowie Mitarbeitende des Jobcenters Saarlouis über kreative Methoden aus. Wie kann man Betroffene neu erreichen und Wege in Ausbildung und Beruf ebnen? Welche Schwierigkeiten bestehen um entkoppelte Jugendliche zu erreichen?

Im Impulsvortrag betonte Kraß: „Benachteiligte junge Erwachsenen, die keine erfolgreiche Schullaufbahn hatten und denen beispielsweise eine Tagesstruktur fehlt, fühlen sich oft verlassen und scheitern. Hier ist es wichtig, sie in ihrem Alltag abzuholen, mit ihnen in Kontakt zu kommen, Vertrauen aufzubauen und so ins Gespräch zu kommen. Wir sollten erstmal da sein und nicht ihre bisherige Laufbahn bewerten.“ Im nächsten Schritt könnten dann Potentiale herausgearbeitet und Ressourcen entwickelt werden, wie die Jugendlichen gefördert werden können. Dabei sei aber wichtig, ihnen auch Zeit zu geben, Geduld zu haben und auch kleine Schritte und Erfolge zu würdigen.

Einem solchem offenen Konzept hat sich die „Startbahn25“, ein Kooperationsprojekt von Diakonie Saar, KEB und Jobcenter, seit Herbst dieses Jahres verschrieben. Es wurde eine niedrigschwellige Anlaufstelle in der Ludwig-Karl-Balzer-Allee eingerichtet. Junge Menschen auf dem Weg in Ausbildung und Beruf können ohne Termin hierherkommen: Neben Freizeit- und „Chill“-möglichkeiten stehen Ansprechpersonen bei beruflichen, aber auch persönlichen Fragen bereit. Es gibt ein Bewerbungszentrum und freies WLAN. „Hier sollen sich die jungen Menschen wohlfühlen, wie in ihrer eigenen Lebenswelt. Das ist für uns auch eine Art der Wertschätzung gegenüber den Jugendlichen“, erklärte Einrichtungsleiter Sebastian Schneider. 

Darüber hinaus bietet die Startbahn kontinuierlich 165 jungen Menschen, die im Leistungsbezug des Jobcenters sind oder diesen beantragen können, eine kontinuierliche Betreuung und Förderplanung mit offenem Ansatz: Über einen Wochenplan können sich die Jugendlichen täglich frei entscheiden, an welchen Angeboten sie teilnehmen wollen, darunter Holzarbeiten, Hauswirtschaft, Fahrradwerkstatt, Friseur, Bewerbungstraining. Zusätzlich werden Sportmöglichkeiten und Ausflüge angeboten. „Aus den Reaktionen der Jugendlichen merken wir, dass unser Ansatz sie erreicht und motiviert“, erzählte Sebastian Schneider. „Es gibt aber auch welche, die auch wir bisher schwer erreichen. Sie haben Angst oder zweifeln daran, dass es sie weiterbringt, was wir hier anbieten.“ Um die Startbahn für alle erreichbar zu machen, wird es zukünftig vermehrt mobile Anlaufstellen in anderen Kommunen des Landkreises Saarlouis geben. Im Fachgespräch entwickelte sich zudem das Vorhaben, die Mitarbeitenden aus der schulischen Berufsvorbereitung in die Startbahn einzuladen und so das Projekt bekannter zu machen. 

Es gibt jedoch auch noch Herausforderungen des neuen Konzeptes: „Dass sich Jugendliche hier nicht nur wohlfühlen, sondern mit Ihnen auch pädagogisch gearbeitet werden kann, Veränderungen anzustoßen und sie in Arbeit zu bringen, das ist eine Herausforderung“, appellierte Jutta Kraß. „Wir müssen auch ihre Selbstwirksamkeit wecken, so dass sie selbst sich bewusster werden, welche Auswirkungen ihr Handeln hat. Dabei müssen auch manchmal ungemütliche Realitäten vermittelt werden.“

Um eine Überforderung der jungen Menschen durch zu viele Auswahlmöglichkeiten zu vermeiden, sei es in einer so komplexen Einrichtung wie der Startbahn 25 wichtig, auch eine gute Struktur für Jugendliche und Mitarbeitende zu haben, ergänzte Abteilungsleiterin Astrid Klein-Nalbach. „Nur so kann der Spagat zwischen einem sehr offenen Angebot und einer zielorientierten Arbeit mit den Jugendlichen gelingen.“